Ist die Dreckschänke noch zu retten? Impressionen vom unaufhaltsamen Verfall einer 185-jährigen Gaststätte →mit aktuellen Fotos vom Juni 2013
Was hätten diese Mauern zu erzählen? Nicht eindeutig belegbar 1829 wurde sie gebaut, 1835-1945 im Besitz der Familie
Hahn-Weickert, sind die Tage der Dreckschänke wohl gezählt. Der Verfall des Gebäudes lässt wohl nur noch den Abriss zu,
der schon seit Jahren von tschechischen Behörden angekündigt, aber bisher nicht vollzogen wurde. Fensterscheiben sind eingeschlagen, der Erzgebirgsverein sicherte vorsorglich sein 1992 gespendetes Eingangsschild und
alle möglichen Betreiber ließen von einer nur in Millionen-Höhe sinnvollen Sanierung die Hände. Seit 2001 leerstehend,
ist die einstige Kultstätte nur noch ein Problemfall. Der Abriss scheint unausweichlich...
Das Gebäude der „Dreckschänke” am 2. Juni 2011, äußerlich durchaus noch akzeptabel anzusehen.
Der Schein trügt. Das über ein Jahrzehnt leerstehende Gebäude ist so kaum noch zu retten, doch ein Abriss
des vermutlich 1829 erbauten Gaststättengebäudes war auch im Sommer 2013 nicht wirklich zu vermuten.
Der einstige Eingang zum
Antoni-Stollen, in dem das Bier
kühl gelagert wurde
Der Giebel des Gasthauses,
an dem das breite Holzschild „Dreckschänke” hing
Die Rückseite der
„Dreckschänke” vom Anbau
aus gesehen
| LEXIKON
Die Dreckschänke
Die Dreckschänke war zwischen
1835 und 1945 ein beliebtes Gasthaus in Breitenbach
(tschech. Potůčky), nahe Johanngeorgenstadt,
im böhmischen Erzgebirge.
Um den Namen ranken sich Legenden. So wird gemutmaßt,
dass sich aufgrund des Straßendrecks unmittelbar vor
dem Gasthaus der Namen im Volksmund einbürgerte, oder
aber die Unfreundlichkeit des ersten Wirtes Josef Korb zum Namen geführt haben. Der gelernte Fleischer hatte Schulden und soll als Wirt unsauber gewesen sein. Möglicherweise ist die Bezeichnung aber auch viel früher durch die Erztransporte genannt „Erztrecks” entstanden und auf die Gaststätte als „Treckschenke” abzuleiten.
Den verbreiteten Namen „Dreckschänke“ wurde auch die Nachfolgebetreiber-Familie Hahn nicht los. Werbewirksam übernahmen Hahn-Witwe Theresia 1885 den Namen Dreckschänke, indem sie ein kleines ovales Porzellanschild „Vulgo Dreckschenke” am Giebel über der Tür und dem Holzschild anbringen ließ. Nach ihrem plötzlichen Tod übernahm Tochter Sophie die Gaststätte, heiratete 1901 den Johanngeorgenstädter Richard Weickert. Der soll Anton Günther zum Lied über die Gaststätte „angestiftet” haben, das ab 1904 derart populär wurde, dass Kneipe, Lied und Postkarte weit über die Grenzen des Erzgebirges bekannt wurden. Günthers Lohn für den Umsatz fördernden Dienst: Lebenslang freie Bewirtung, Logis und zahlreiche Auftrittsangebote dort. (LPK)
Jubiläumsschrift 1935 „Die 100-jährige Dreckschänke” Sohie Weickert und Kinder,
Breitenbach, den 28. April 1935,
20 Seiten,14,4 x 22,5 cm . „Das Geldmannl in der Dreckschänk”
Erzgebirgsposse in einem Aufzug, Alexis Kolb, 1925, Handlung 1870
Thümmlers Theater-Bücherei Bd. 13/14, 40 Seiten, 11,5 x 15 cm
| KALENDARIUM
Der Dornröschenschlaf
1945-1990 Vertreibung, Sperrgebiet und Kindergarten
1944/45: Zum Ende des Weltkrieges war an Gastronomie nicht mehr zu denken. Die Dreckschänke wurde zum Auffanglager und Lazarett umfunktioniert.
ab 1945/46 nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Böhmen, musste auch die Weickert-Familie am 24. Mai 1945 aus dem Haus. Die Weickert-Schwiegertochter Fritzi - ihr Mann Richard jr. gilt im Zweiten Weltkrieg als verschollen - wurde mit den drei Kindern Liliane, Richard und Manfred nach Johanngeorgenstadt ausgewiesen, während die Dreckschänken-Wirtin Sophie Weickert zunächst in Ziegenschacht
(Stráň) unterkam, aber 1946 ebenfalls ausgewiesen wurde und mit einem Transport nach Memmingen ins Allgäu umgesiedelt wurde. Sie wollte zumindest in die Nähe ihrer Heimat zurück und kam nach einer Odyssee bei ihrer Tochter in Chemnitz unter, bevor sie zu Verwandten nach Quedlinburg zog und 1960 starb. ab 1947: Die Gaststätte lag zunächst im Sperrgebiet und wurde von der tschechischen Grenzpolizei genutzt.Später war das Objekt ein Treffpunkt für Schmuggler und in späten sozialistischen Tagen
dann sogar einige Jahre ein Kindergarten. (LPK)
Ein ungewollter Ansturm
1991 Randalierer verwüsten Reste der Dreckschänke
Ein schlimmes Wochenende erlebte die Dreckschänke, als im Juni 1991 der Grenzübergang in Johanngeorgenstadt für Fußgänger geöffnet wurde.
Am ersten offenen Wochenende zogen auch deutsche Randalierer (es sollen Skinheads aus Aue und Schwarzenberg gewesen sein) gen Tschechien und verwüsteten den Rest der halbverfallenen Dreckschänke, ohne dass die herbeigerufene
tschechische Polizei und der Zoll einschritt. Möglicherweise sollte ein Grenzkonflikt vermieden werden, es herrschte 1991 eine absolut undurchsichtige Rechtssituation nach der Deutschen Einheit. Das spärlich erhalten gebliebene Mobiliar - schon nach dem Krieg wurde die einstige Einrichtung ins Tschechische verscherbelt - Fenster und da noch original erhaltene Türrahmen und Türen wurden zertrümmert, nahezu nicht blieb ganz. (LPK)
Kurze Renaissance
1991-2001 Blitzsanierung, Neueröffnung und Schließung
Überraschenderweise bereits drei Monate nach dem Skinhead-Überfall wurde das Haus Oktober 1991 dann teilsaniert und als Gaststätte wiedereröffnet. Anfänglich gut gehend, stagnierte der Umsatz und das Interesse, zumal sich die Lust auf preiswerte Schnellbeköstigung mit böhmischen Knödeln und Gulasch bei den vorrangig deutschen Gästen schnell legte, und eine Einkehr direkt am Grenzübergang nahe der zahlreichen
Vietnamesen-Schwarzmärkte,
den fast 1000-Meter-Fußmarsch zur Dreckschänke ersparte.
Ende der 1990er Jahre wechselte das „Sport-Hotel” noch einmal den Betreiber, wurde dann aber 2001 endgültig geschlossen.
Nach der Schließung wurde das Gasthaus noch einige Zeit als Unterkunft für auf Schwarzmarkten eingesetzte Vietnamesen genutzt;
seit 2003 ist die Dreckschänke langsam verfallend ungenutzt. (LPK)
Rettungsaktion vor Abrissbirne
2009
Die Dreckschänke rottet seit
2001 unaufhörlich dahin.
Am 10. Mai 2009 wurde das vom Erzgebirgsverein 1992 gespendete Eingangsschild vom Schnitzverein des EZV Johanngeorgenstadt wieder abgenommen und eingelagert.
Es ist dem einstigen Original nachempfunden und hing
17 Jahre an der Dreckschänke.
Hoffnung gab ein EU-Beschluss
im Mai 2011, demzufolge auch
Ausländer in Tschechien
Immobilien kaufen dürfen. (LPK)
Das dem Original nachempfundene Schild hing 17 Jahre an der Dreckschänke
Wohl keine Rettung mehr
2011 Abriss droht nach zehn Jahren Leerstand
Der Abriss der Dreckschänke, seit 2009 von tschechischen Behörden
angekündigt, wird immer unaus-weichlicher. Trotz Bemühungen um Interessenten und EU-Beschluss fand sich für die Gaststätte an der
nun durch Öffnung der Grenze für den Autoverkehr auch noch stark befahrenen Straße, kein Interessent. Außerdem macht sich im Inneren durch Wasserschäden immer mehr der Schwamm breit. (LPK)
Der Eingangsbereich der ehemaligen Gaststätte im Juni 2011, völlig verwahrlost und verwüstet
Seitlicher Blick
durch den Saal bis in
die früheren Gaststuben mit erhaltener Fenster-einfassung
Blick in den Saalanbau von der Straße aus mit deutlich sichtbaren Wasserschäden und Schwamm
Investor nicht in Sicht
2013 Kein Abriss, aber auch keine Rettung in Sicht
Sie steht immer noch! Während gegenüber an der Skipiste in den letzten Jahren kräftig gebaut wurde und eine Blockhütte auf dem Boden des ehemaligen Tennisplatzes entstand, tat sich auf der anderen Straßenseite in und an der Dreckschänke gar nichts mehr.
Die Sicherungsmaßnahmen des Objektes sind nur oberflächlich. Fenster wurden eingeschlagen, die Türen sind trotz davor gebauten
Gittertoren offen und die Bausubstanz ist in einem erbärmlichen Gesamtzustand. Überraschend hat sich aber im Vergleich zu 2009 der Zustand nur wenig verschlechtert. Ein Investor scheint dennoch nicht in Sicht, sicher auch weil der Gaststättenkomplex mit fünf Gaststuben, einem Saal und Zimmern im Obergeschoss für heutige Verhältnisse auch viel zu groß angelegt erscheint. (LPK)
| BILDERBOGEN 2013
Außenansicht der Dreckschänke von der gegenüberliegenden Straßenseite aus
Außenansicht der Dreckschänke mit dem 1829 erbauten Hauptgebäude
Der Eingang zum Bierkeller – eine über 200 Jahre alte einstige Rösche
Seitlicher Blick in
den Saalanbau mit nachträglicher Deckenkonstruktion
Blick vom Anbau in den Tanzraum und dem Durchgang zum „Sachsenzimmer”
Blick vom Saaleingang oder „Handtuch” in den „Kleinen Saal”
Die rechte Gaststube von der Straße aus – das wohl einstige „Erzgebirgszimmer”
Die linke Gaststube von der Straße aus –
das wohl einstige „Sachsenzimmer”
Der Eingang zum Saalanbau, um 1928 verschlossen und als „Handtuch” bekannt
Seitlicher Blick auf die Verschalung des Hauptgebäudes vom Garten aus
Die Kastanie vom Biergarten zur Straße aus. Nach alten Motiven über 100 Jahre alt
Seitlicher Blick in
den Garten mit dem Durchgang und den Bierkeller
Aufnahmen: 9. Juni 2013 – für Vergrößerung ins Bild klicken
| CHRONIK
Die Wirte
ab 1829 Inhaber Wenzel Dörfler. 1834: Josef Korb.
1835 bis 1884: Johann Adalbert Hahn, Tischler und Gemischtwaren-Händler aus Platten († 1884). „Hahn's-Gasthaus” 1884-1887: Sohn Franz Xaver Hahn, ebenfalls Tischler und Gastwirt aus Platten († Juni 1887). 1887-1900: Frau Theresia geb. Leiner († 20. Januar 1900). 1900-1945: Tochter Sophie
(* 6. September 1877, † 1960 in Quedlinburg) übernahm 23-jährig
die Gaststätte, heiratete 1901 Richard Weickert aus Johanngeorgenstadt. Sophie führte die Gaststätte nach dem plötzlichen Tod ihre Mannes von 1921 bis 1945 nahezu allein weiter, zwischenzeitlich unterstützt von Sohn Richard jr., der aus dem Zweiten Weltkrieg nie heimkehrte, bis heute als verschollen gilt. (LPK)
Der Eingang zum ehemaligen Bierkeller des Antoni-Stollen
Blick vom Garten aus
auf das Hauptgebäude
Blick in den Garten mit dem einstigen Bierkeller und dem Eingang zum Gasthaus
Die an den Felsen heran
gebaute Hinterfront des Anbaus
der Dreckschänke...
...mit dem Blick zur ehemaligen Küche, der Verlängerung des ursprünglichen Gasthauses Aufnahmen: 2. Juni 2011
für Vergrößerung ins Bild klicken
Quellen: Rudolf Behr: Die Geschichte der Dreckschänke, Nr. 176, 1. Mai 1970 und Hundertjahrfeier der Dreckschänke, Nr. 48, 1954, Neudeker Heimatbrief;
Max Müller: Die Dreckschänke, Nr. 352, 1996, Neudeker Heimatbrief; Sophie Weickert und Kinder: „Die 100jährige Dreckschänke”, Jubiläumsheft, Breitenbach, 1935 Letzte Aktualisierung: 30. Dezember 2013 Erstellt mit Adobe Dreamweaver CS 5.5. Optimiert für Mozilla Firefox. Javascript erforderlich.